Verständlich formulieren – Das Hamburger Verständlichkeitskonzept

Einfache, verständliche Texte bereiten Freude. Foto: pexels.com

Nie wurde so viel geschrieben wie heute. Aber kommen auch alle Berichte, Artikel, Newsletter, Meldungen und Präsentationen beim Leser an? Werden die Texte auch verstanden? Erzielen sie die beabsichtigte Wirkung oder bleiben es einfach nur Buchstaben auf dem Papier?

Haben Sie Ihren letzten Steuerbescheid gelesen? Ja? Damit sind Sie eine Ausnahme. Die meisten Menschen gucken nur auf die Zahlen der ersten Seite. Einige lesen noch bis zur dritten oder der vierten Seite, aber die wenigsten haben dann verstanden, worum es geht. Gut, wenn der Steuerberater übersetzt.

Nicht nur in Finanzämtern gewinnt eine unverständliche Verwaltungssprache die Oberhand. Selbst gute Projektinhalte bleiben durch fehlende Verständlichkeit auf der Strecke. Lesen Sie diesen Satz: „Das innovative Handlungskonzept unterstützt die systematische und strukturierte Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen und dem bürgerschaftlichen Engagement vor Ort und stabilisiert damit einen wesentlichen Aspekt der modernen Bildungslandschaft.“ Was haben Sie durch diese 26 Wörter erfahren? Der Artikel, der diesen Satz enthält, beschreibt den Aufbau einer ehrenamtlich betriebenen Hausaufgabenhilfe in einer kleinen Stadt. Wären Sie darauf gekommen? Also, warum sagt man nicht einfach gleich, was man meint?

Das Hamburger Verständlichkeitskonzept

Die Psychologen Reinhard Tausch, Friedemann Schulz von Thun und Inghard Langer haben sich in den siebziger Jahren der Frage nach allgemein gültigen Grundlagen der Verständlichkeit von Texten gewidmet. Entstanden ist das Hamburger Verständlichkeitskonzept. Die Wissenschaftler untersuchten, welche Faktoren darüber entscheiden, ob ein Text verständlich ist oder nicht. Sie fanden heraus, dass die Verständlichkeit von den vier Merkmalen Einfachheit, Gliederung, Prägnanz und Anregung abhängt. Das Hamburger Verständlichkeitskonzept gilt heute als Standard bei Sprachberatern. Das Buch über das Hamburger Konzept „Sich verständlich ausdrücken“ von Reinhard Tausch, Inghard Langer und Friedemann Schulz von Thun, ist bereits in der 10. Auflage erschienen.

Die vier Merkmale der Verständlichkeit

Das erste Verständlichkeitsmerkmal ist die Einfachheit. Benutzen Sie für Ihre Texte gebräuchliche Wörter, die jeder Leser verstehen kann. Lebendige, anschauliche Wörter sind gefragt. Nur im Ausnahmefall sollten Fachausdrücke und ungewöhnliche Begriffe benutzt werden. Erläutern Sie diese dann unbedingt.
Vermeiden Sie Schachtelsätze. Ein einfacher Satzbau erhöht die Verständlichkeit. Verwenden Sie kurze Hauptsätze und fügen Sie Nebensätze vor oder nach dem Hauptsatz an. Eingeschobene Nebensätze stören den Lesefluss.

Das zweite Verständlichkeitsmerkmal ist die Gliederung. Der logische Aufbau eines Textes entscheidet über seine Verständlichkeit. Der Leser oder Zuhörer muss den roten Faden erkennen können. Gedankensprünge des Autors oder ständige Verweise „ …darauf komme ich später zurück…“ verwirren und der Leser verliert den Faden.
Die logische Ordnung eines Textes spiegelt sich in der äußeren Struktur wider. Gliedern Sie Ihren Text in Absätze, nutzen Sie Zwischenüberschriften und Zusammenfassungen.

Das dritte Verständlichkeitsmerkmal ist die Prägnanz. Schreiben Sie jeden Text so kurz wie möglich aber so lang wie nötig. Blähen Sie Ihre Texte nicht durch überflüssige Wörter und Sätze auf. Kontrollieren Sie nach dem Schreiben die Aussagekraft der einzelnen Textteile. Sätze und Wörter ohne Aussage können einfach weg. Prüfen Sie die verwendeten Wörter. Schreiben Sie nicht Sitzgelegenheit, wenn Sie Stuhl meinen. Eine Aufgabenstellung ist nichts anderes als eine Aufgabe. Jean Paul hat es einmal treffend gesagt: “Je länger ein Wort, desto unanschaulicher.“ Denken Sie daran, wenn Sie mal wieder nicht optimale Witterungserscheinungen statt schlechtes Wetter schreiben wollen.

Was verbirgt sich hinter dem vierten Verständlichkeitsmerkmal, der Anregung? Denken Sie an Ihre Schulzeit. Umso trockener der Unterricht war, umso schwerer fiel Ihnen das Zuhören und das Verstehen. Aber Sie haben bestimmt auch Lehrer kennengelernt, die trockenen Schulstoff so vermitteln konnten, dass Ihr Interesse geweckt wurde. Was macht diesen Unterschied aus? Wenn es ein Lehrer, ein Redner oder ein Autor versteht, mit seinem Text Emotionen zu wecken, erzielt er eine Wirkung. Versuchen Sie immer, den Leser oder Zuhörer mit Ihren Worten zu berühren. Wenn der Adressat Ihre Worte versteht und mit ihnen Emotionen verbindet, dann kommt Ihre Botschaft an. Verwenden Sie diese anregenden Zusätze nur sehr sparsam.

Einsatzgebiete überall!

Auf die Frage, in welchen Bereichen das Hamburger Verständlichkeitskonzept eingesetzt werden kann, gibt es nur eine Antwort: Überall. Vom Backrezept bis zum Lehrbuch, von Produktbeschreibungen bis zu Protokollen, alle Texte werden geschrieben, um etwas zu bewirken. Wenn Sie die Grundsätze des Verständlichkeitskonzeptes berücksichtigen, erreichen Sie die Menschen. Beachten Sie die Merkmale auch bei Vorträgen und Präsentationen und Sie werden die Veränderung wahrnehmen. Probieren Sie es aus!

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